2019 SoSe – Seminarstunde 05

Fakten und wissenschaftlicher Anspruch

Intendierte Systeme

Von intendierten Anwendungen zu intendierten Systemen

In einer Theorie werden durch Wissenschaftler bestimmte reale Systeme untersucht und mit Modellen beschrieben und erklärt. Im hier verwendeten strukturalistischen Ansatz der Wis­sen­schaftstheorie werden diejenigen Systeme, die Wissenschaftler interessant finden, als in­tended applications (intendierte Anwendungen) bezeichnet. Der Ausdruck «application» be­tont den dynamischen, aktiven Aspekt. Oft wird ein wirkliches System aber nur passiv be­trachtet und untersucht; das System wird nicht angewendet. Zum Beispiel kann in der Gravi­tationstheorie ein schwarzes Loch nicht verändert werden. Wir verwenden daher einen neutra­leren Term und sprechen von intendierten Systemen.
Modelle werden in der Logik dazu verwendet, um Sätze in Modellen zu interpretieren und als gültig zu erweisen. Wenn ein Satz im Modell gültig ist, haben wir ein Indiz, was der Satz be­zogen auf eine bestimmte Situation ausdrücken soll. Wenn dieser Satz in allen Modellen, wel­che die Hypothesen einer Theorie erfüllen, gültig ist, hat sich das was im Satz ausgedrückt wird, weiter verfestigt. Sätze legen auf diese Weise die Modelle der Theorie fest. Allerdings kommen wir damit der Wirklichkeit kaum näher; wir bleiben im Grunde auf der Sprach- und Gedanken­ebene.

Bezug zu wirklichen Systemen

Die Wissenschaftstheorie möchte aber nicht nur über Sprachsysteme und Gedanken sprechen, sondern auch über andere, wirkliche Systeme. Der Bezug zu realen Ereignissen wird in der Wissenschaftstheorie nicht nur den Sprach- und Humanwissenschaften überlassen. In der Wis­senschaftstheorie wird der Bezug zu einem wirklichen System in die jeweilige Theorie verlegt, die es gerade zu untersuchen gilt. Dazu wird neben den Modellen eine weitere Kom­ponente der Theorie verwendet. Diese Komponente verankert die Theorie in wirklichen Ereig­nissen; sie be­steht aus einer Menge von intendierten Systemen und einer dazugehörigen Men­ge von Fakten­sammlungen.
Die Menge I(T) der intendierten Systeme der Theorie T stellt einen direkten Bezug zu wirkli­chen Systemen dar, welche die Forscher aus dem Blickwinkel der Theorie untersucht haben, gerade untersuchen oder in Zukunft untersuchen möchten.

Bestandteile eines intendierten Systems

Ein intendiertes System wird durch atomare Terme beschrieben. Dabei bekommt ein inten­dier­tes System immer auch einen Namen oder eine Bezeichnung. Ein intendiertes System kann ähnlich wie ein Modell weiter in elementare Bestandteile zerlegt werden. Bei einer Be­schrei­bung werden auch alle Bestandteile durch atomare Terme repräsentiert. Dabei können die ver­wendeten atomaren Terme in Grundobjekte, Hilfsobjekte und Sachverhalte und die Sachver­halte weiter in verschiedene Relationen eingeteilt werden. Eine Relation wird dabei als eine Menge von Sachverhalten gesehen und ein jeder Sachverhalt liegt genau in einer der Relationen der Theorie.
Oft ist es schwierig zu ent­scheiden, ob ein Ereignis zu einer Grundmenge des intendierten Systems hinzugenommen werden soll oder nicht. Das Problem liegt nicht nur in der approximativen Grenzzie­hung, sondern auch in der zeitlichen Veränderung der Faktenlage. Durch jede Beobachtung, durch jedes Experiment, vergrößert (oder verkleinert) sich das intendierte System. Anders gesagt, ändert sich ein inten­diertes System ständig. Aber es soll gleichzeitig auch «das» reale System darstellen, das bei den Forschern Interesse findet und einen klar bestimmten Namen hat.

Vermeidung von Zweideutigkeit

Der Ausdruck «intendiertes System» wird in zwei Bedeutungen ver­wen­det:

  • Einerseits wird ein intendiertes System eindeutig mit einem wirklichen System in Bezie­hung gesetzt, welches sich mit der Zeit im Großen und Ganzen nicht ändert. Es soll eine Form haben, die den Modellen der Theorie ähnelt und die sich aber mit der Zeit nicht ändert.
  • Ande­rerseits ändert sich das intendierte System mit der Zeit, wenn durch die laufenden Unter­suchun­gen ständig neue Fakten über das System bekannt werden.

Um diese Zweideutigkeit zu vermei­den, wird jedem intendierten System eine zweite Seite hinzugefügt. Zu jedem inten­dierten System gehört eine Faktensammlung.

Potentielle Modelle

Wiederholung: Was ist ein Modell?

Wissenschaftstheoretisch kann die Menge aller Modelle einer Theorie T kom­pakt und allgemein dargestellt werden.
M ist die Menge aller Modelle der Theorie T genau dann wenn für alle x gilt:
x ∈ M genau dann wenn es Mengen G1, …, Gk, H1, …, Hm, R1, …, Rn  gibt, so dass gilt:

  • x = 〈 G1, …, Gκ, H1, …, Hμ, R1, …, Rν 〉 und
  • R1, …, Rν sind Relationen, die über den Mengen G1, …, Gκ und H1, …, Hμ konstruiert sind
  • und Hypothese1 ( G1, …, Rν ) und … und Hypothesen ( G1, …, Rν ) gelten.

Genauso kompakt lässt sich ein Modell einer Theorie beschreiben.

  • x ist ein Modell der Theorie T genau dann wenn
  • x ein Element der Menge aller Modelle der Theorie T ist.

Einführung

Die Modellmenge kann auf verschiedene Weise verallgemeinert werden. Bei einer ersten Verallgemeinerung werden die Definitionen der Modellmenge aller Hypothesen der Theorie weggelassen. Das Resultat wird die Menge der potentiellen Modelle der Theorie T, Mp(T), genannt. Formal ist die Menge M(T) eine Teilmenge von Mp(T):

M(T) ⊆ Mp(T).

Eine Grenzziehung zwischen potentiellen Modellen und Modellen ist damit zwar formal klar, sie wird aber in der Literatur auch auf andere Weise gezogen und bei Rekonstruktionen von Theorien oft nicht genau diskutiert.

Partiell potentielle Modelle und theoretische Terme

Aus einem potentiellen Modell wir ein so genanntes partielles potentielles Modell, wenn einige der Relationen aus dem potentiellen Modell entfernt werden. Dies führt zum Problem der theoretischen Terme. Formal gehen wir von der Liste der Grund­begriffe für die Relationen von T aus und betrachten die Relationen, die an einer be­stimmten Stelle u ( 1 ≤ u ≤ ν ) in den potentiellen Modellen stehen. Die Relation Ru in den po­tentiellen Modellen von T gehört zum entsprechenden Grundbegriff von T. Die Menge all dieser Relati­onen Ru, die bei potentiellen Modellen an der u-ten Stelle stehen, bezeichnen wir durch den Term θ ( Ru ). Dieser Term θ ( Ru ) ist (relativ zu T) Ttheoretisch, wenn eine Relation Ru aus θ ( Ru ) nur genauer bestimmt werden kann, indem alle Hypothesen der Theorie T verwendet werden müssen.

Möglichkeitsraum einer Theorie

Einführung

Bei einem potentiellen Modell können einige Komponenten verkleinert, andere vergrößert und wieder andere Komponenten auch völlig entfernt werden. Die Menge aller derartigen Systeme wird als der Möglichkeitsraum der Theorie T, kurz: S(T), benannt. Die Elemente diese Raumes werden Systeme für T genannt.
Eine Theorie T enthält also neben der Menge M(T) der Modelle und der Menge Mp(T) der po­tentiellen Modelle auch den Möglichkeitsraum S(T). Formal gilt, dass die Modellmenge M(T) eine Teilmenge der Menge Mp(T) der potentiellen Modelle ist und Mp(T) eine Teilmenge des Möglichkeitsraums S(T): M(T) ⊂ Mp(T) ⊂ S(T).

Darstellung

 

Fakten

Erste Facette

Ein Faktum ist in der Beschreibungsebene ein Term.
Ein solcher Term t für ein Faktum kann drei Formen haben:

  • t kann ein Name (eine Konstante) sein, die in einer wissenschaftlichen Gruppe homogen verwendet wird. D.h. alle Personen aus einer Gruppe verwenden den Namen für «dieselbe Sache». Der Name bezeichnet ein für die Gruppe klares Ereignis (oder Phänomen, Ding, Tatsache, Sachverhalt). Das Ereignis muss in einem intendierten System der Gruppe wahrgenommen worden sein.
  • t kann eine Gleichung sein: ( t1 = t2 ), wobei t1, t2 induktiv aufgebaute Funktionsterme f ( te1, …, tem ) sind, die letzten Endes nur aus Konstanten konstruiert werden.
  • t kann die Form eines Sachverhalts p ( t1, …, tn ) haben, wobei t1, …, tn Funktionsterme sind.

Neben den so konstruktiv bestimmten Fakten gibt es auch theoretische, abgeleitete Fakten. Die nicht abgeleiteten Fakten nennen wir unmittelbare Fakten. t wird aus anderen Fakten und Hypothesen (Sätzen) abgeleitet, wobei t am Ende nur aus unmittelbaren Fakten abgeleitet wird.

Zweite Facette

Ein Faktum «ist» ein reales Ereignis, das von der Gruppe wahrgenommen wird. Das Ereignis muss ein Bestandteil eines intendierten Systems sein.
Ein Faktum wird im allgemeinen auf verschiedene Weise notiert. In Prolog ist es sinnvoll, einen Fakt fakt mit einem Wrapper zu umschließen, z.B. fw(1,typ1,fakt) oder fw(3564756,typ3,faktX).
1 und 3564756 sind «Namen» für Fakten. Diese werden weiter durch Typen wie typ1 und typ3 unterschieden. typ1 kann in einer Anwendung z.B. besagen, dass der fakt eine Person betrifft («ist») und typ3 ein Objekt (keine Person).

Faktensammlungen

Einführung

Eine Faktensammlung besteht lediglich aus Fakten. Ein Faktum kann drei Formen haben. Es kann durch einen atomaren, variablenfreien Satz oder durch eine Liste mit (hybriden) Namen oder durch einen Namen beschrieben werden. Bei allen drei Möglichkeiten soll ein Satz oder ein Name ein wirkliches Ereignis bezeichnen. Meist wird ein Faktum durch ein Prädikat und ein Argument (oder mehrere Argumente) be­schrieben.
An diesem Punkt kommt bei der Beschreibung einer Faktensammlung die Zeit ins Spiel. Ein intendiertes System bleibt zeitlich im Großen und Ganzen gleich. Aber die Menge der Fakten, die aus der Erforschung eines bestimmten intendierten Systems stammt, ändert sich mit der Zeit. Genau die Fakten, die zur Zeit z bekannt und (teilweise) gesichert sind und vom gege­benen System kommen, bilden eine Menge von Fakten. Diese Menge nennen wir die Fakten­sammlung (der Theorie T zum Zeitpunkt z). Eine Faktensammlung bezieht sich immer auf einen gegebenen Zeitpunkt der Theorie T; sie existiert zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Aufbau einer  Faktensammlung

Faktensammlungen haben wie Modelle die Form von Listen von Mengen. Eine Faktensamm­lung wird durch eine Liste von Komponenten dargestellt und jede Komponente ist selbst eine Menge von atomaren, variablenfreien Sätzen, Listen oder Namen.
Neben dem Namen verfügt die Faktensammlung über variablenfreie, atomare Ausdrücke, die bestimmte Ereignisse, Objekte, Sachverhalte und andere Aspekte bezeichnen, die innerhalb des Systems bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu finden sind oder dort ablaufen. Alle Be­zeich­nungen für die Entitäten, die bis zum Zeitpunkt z im Inneren des intendierten Systems liegen oder stattfinden und der Name des Systems bilden zusammengenommen die Fakten einer Fak­tensammlung.
Formal können wir eine Faktensammlung zu einem gegebenen Zeitpunkt z so schreiben:

G1z, …, Gκ*z, H1z, …, Hμ*z, R1z, …, Rν*z 〉.

Faktensammlungen und Modelle

Wissenschaftstheoretisch lassen sich Faktensammlungen und Modelle ziemlich klar trennen. Hypothesen beschreiben Gemeinsamkeiten aller Modelle, während es bei Fakten um einzelne, elementare Bestandteile eines bestimmten Systems geht. Ein Faktum erfasst einen elementa­ren Bestandteil eines intendierten Systems, der direkt wahrgenommen oder in einem konstruktiven Sinn auf wahrnehmbare Ereignisse zurückgeführt werden kann. Eine Hypothese dagegen be­schreibt größere Zusammenhänge vieler Ereignisse. Eine Hypothese enthält meist Ausdrücke wie es gibt oder für alle, welche sich auf variable Weise auf viele verschiedene Dinge und Ereignisse beziehen.
Zum Beispiel ist in der Gravitationstheorie eine Mondfinster­nis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Faktum, dagegen ist eine Gleichung, die alle Zeit­punkte und Orte der Partikel zusammenbringt, eine Hypothese.

Arten von Fakten

Fakten aus einer Theorie T können grob in drei Arten eingeteilt werden:

  • Ein Faktum ist für T gesichert, wenn es eine hohe Wahrschein­lichkeit hat, richtig zu sein. Das Ereignis wurde wahrgenommen und gut geprüft.
  • Ein teilwei­se gesichertes Faktum wurde zwar wahrgenommen, es wurde aber nicht genau geprüft.
  • Bei ver­muteten Fakten müssen andere positive Indizien vorliegen.

Diese Einteilung lässt sich ohne Mühe auch auf Faktensammlungen übertragen. Eine mögliche Faktensammlung oder ein mögliches Faktum wird nur gedanklich bei rein theoretischen Überlegungen über Form und Ähnlichkeit verwendet.

Eingeschränkte Komponenten eines Modells

Modelle, Faktensammlungen und Wirklichkeit

Einbettung und Einschränkung im Möglichkeitsraum

Wissenschaftlicher Anspruch

Einführung

Der Begriff „wissenschaftlicher Anspruch“

In der Wissenschaftstheorie wird üblicherweise der Begriff «empirische Behauptung» (empirical claim) verwendet. Wir verwenden das Wort «Anspruch» und nicht «Behauptung», um die praktische Seite der Wissenschaft zu betonen. Im Weiteren verzichten wir auf das Adjektiv «wissenschaftlich» und sprechen einfach von Ansprüchen.
In der Wissenschaft werden Ansprüche hauptsächlich auf Theorien – Ansichten – bezogen. Eine bestimmte Ansicht erhebt einen Anspruch auf Wahrheit und wenn es eine zweite, ähnliche Ansicht gibt, wird um die Wahrheit gestritten.

Wie kann eine Theorie einen Anspruch erheben?

Im strukturalistischen Ansatz besagt der Anspruch einer Theorie, dass eine Faktensammlung der Theorie zu den Modellen der Theorie passen. Da eine Theorie eine Zeitkomponenten hat, heißt dies:

  • Zu jedem Zeitpunkt z, zu dem die Theorie existiert, passt die Menge der Faktensammlungen zu z zur Menge der Modelle der Theorie.

Der Anspruch einer Theorie wird durch Passung formuliert, wobei wir die Hilfsbasismengen in allen Systemen der Theorie implizit lassen. Ein Anspruch lässt sich in mehreren Schritten be­schreiben. Wenn ein Modell x = 〈 G1, …, Gκ, R1, …, Rν 〉 und eine Faktensammlung y = 〈 G1z, …, Gκ*z, R1z, …, Rν*z 〉 zu einem festen Zeitpunkt z der Theorie gegeben sind, passt y zu x, wenn für alle Grundmengen und Relationen von y folgendes gilt:

  • Jede Grundmenge Gi*z ist eine Teilmenge der «entsprechenden» Grundmenge Gψ1(i*)
  • und jede Relation Ru*z ist eine Teilmenge der «entsprechenden» Relation Rψ3(u*).

Eine Faktensammlung passt zu einem Modell

Überprüfung von Hypothesen

Zwei Arten von Hypothesen

Die in der letzten Abbildung allgemein illustrierten Fehler entstehen, wenn Grundelemente und Ereignisse oder Sachverhalte fehlerhaft notiert oder in der Wirklichkeit so nicht anzutreffen sind oder wenn verschiedene Ereignisse durch Hypothesen fehlerhaft miteinander verknüpft sind.
Wir unterscheiden zwei Arten von Hypothesen:

  • Eine Hypothese der ersten Art bezieht sich nur auf Ereignisse desselben Typs. Mengentheoretisch gesprochen, sind alle Ereignisse Elemente der­selben Relation.
  • Bei Hypothesen der zweiten Art werden Ereignisse verschiedener Arten verknüpft. Diese Hypothesen nennen wir Verknüpfungshypothesen (cluster laws). In einer solchen Hypothese werden mindestens zwei Grundrelationen verwendet. Oft gibt es in einer Theorie eine einzige, zentrale Verknüpfungshypothese, in der alle Grundrelationen der Theorie verwendet werden. Das klassische Beispiel ist hier das zweite Newtonsche Axiom, in dem Ort, Zeit, Geschwindig­keit, Beschleu­nigung, Masse und Kraft zu einer unauflösbaren Einheit werden.

Passung einer Faktensammlung zu einem Modell

Wenn die Fakten in einem gegebenen Zeitpunkt vorhanden sind, wird die Passung einer Faktensammlung zu einem gegebenen Modell über die Hypothesen überprüft.
In empirischen Anwendungen wird geprüft, ob eine Hypothese durch die Fakten bestätigt wird. Dieses Bestätigungsverfahren ist immer ein Teil der Passung. Ein solches Verfahren liegt oft weit von einer logischen Ableitung entfernt. Eine Hypothese benötigt oft viele Fakten zur Be­stätigung. Es kann aber sein, dass einige für eine Überprüfung notwendige Fakten in einer Fak­tensammlung einfach nicht vorhanden sind. Oder es kann sein, dass ein atomarer Ausdruck, der ein Faktum beschreibt, den falschen Wahrheitswert hat. Bei Prüfung einer Hy­pothese muss zum Beispiel ein bestimmter Ausdruck falsch sein, um die Hypothese zu bestä­tigen. In an­deren Fällen muss ein Faktum mindestens einmal vorhanden sein, um mit der Prüfung der Hypothese weiter zu kommen.
Eine Faktensammlung passt zu einem Modell, wenn alle Hypothesen und die Fakten zu einem gegebenen Zeitpunkt im Modell gültig sind.

Fehlen von Messmethoden

Besonders heikel wird die Überprüfung einer Hypothese, wenn es zu diesem Zeitpunkt keine Messmethoden für eine bestimmte Relation (für einen bestimmten Begriff) in den Modellen gibt. In diesen Fällen ist ein Grundbegriff der Theorie entweder sehr abstrakt oder der zentrale Grundbegriff der Theorie hat die Funktion, alle Begriffe und Hypothesen zu einem Ganzen werden zu lassen.
Wird ein Begriff in der Theorie nur durch die Hypothesen der Theorie bestimmt, kann dies zum Problem der theoretischen Terme führen.
Zum Beispiel gilt dies für den Begriff der Kraft in der Newtonschen Me­cha­nik oder für den Begriff des Nutzens in der Mikroökonomie. Zumindest in der Anfangs­phase bestimmter, sehr umfassender Theorien, gibt es keine Mess- oder Bestimmungsmetho­den für einen zentralen Begriff. Daher gibt es in diesem Fall nur eine einzige Möglichkeit, bestimmte Werte für diesen Begriff zu erhalten: der Wert muss durch Hypothesen und Fakten abgeleitet werden. Wobei die verwendeten Fakten aber nicht mit dem zentralen Begriff formu­liert werden dürfen.

Passung

Von Hypothesen zu Modellumgebungen

Die verschiedenen Fehlerquellen bei der Überprüfung der Hypothesen führen aber nicht gleich dazu, die gerade verwendeten Hypothesen zu verwerfen. Solche Fehler werden mit Be­dacht zur Kenntnis genommen und dann genauer untersucht. Eine Faktensammlung zur Zeit z passt zwar nicht in Idealform zu einem Modell, sie passt aber oft fast dazu. Oft macht es Sinn, eine Faktensammlung nur approximativ mit einem Modell zur Passung zu bringen.
Im Allgemeinen wird Passung so erweitert, dass eine ganze Umgebung des Modells metho­disch verwendet wird. Oft genügt es, ein potentielles Modell zu finden, das nahe am gegebenen Modell liegt. Es wird eine Umgebung des Modells definiert und nach einem potentiellen Mo­dell aus dieser Umgebung gesucht, das zur Faktensammlung passt. Im einfachsten Fall lässt sich eine solche Umgebung durch eine einzige Zahl definieren. Es gibt topologische Metho­den, mit de­nen aus einer Zahl und einem potentiellen Modell eine ganze Umgebung konstru­iert werden kann.

Drei Passungsmöglichkeiten


Von einer zu allen Faktensammlungen

Damit ist die Passung für eine gegebene Theorie aber noch nicht beendet. Nicht eine Faktensammlung zu einem gegebenen Zeitpunkt wird betrachtet, sondern alle Faktensammlungen der Theorie zu diesem Zeitpunkt müssen zu den Modellen passen. Dies eröffnet drei Mög­lichkei­ten:

  • Erstens kann es sein, dass jede Faktensammlung zu einem Modell passt: die Theo­rie ist völlig richtig.
  • Bei der zweiten Möglichkeit wird jede Faktensammlung mit einem po­tentiellen Modell zur Passung gebracht das nahe bei einem Modell liegt: die Theorie ist mit einer gewis­sen Wahrscheinlichkeit richtig.
  • Bei der dritten Möglichkeit gibt es Faktensamm­lungen, die we­der ideal noch approximativ zu Modellen oder potentiellen Modellen passen: die Theorie ist falsch.

Der zweite Fall stellt für anwendungsbezogene Disziplinen den Nor­malfall dar.
Der dritte Fall führt dazu, dass die Theorie verändert wird.

Gehalt einer Theorie

Arten der Einbettung

Da die Beziehung der Einbettung ebt einer Faktensammlung in ein Modell im Allgemeinen nicht die Funktionseigenschaften hat, kann es vorkommen, dass verschiedene Faktensysteme in dasselbe Modell eingebettet werden oder dass eine Faktensammlung in verschiedene Mo­delle eingebettet wird. Es kann auch vorkommen, dass es sehr viele Modelle gibt, die zur Pas­sung nicht herangezogen werden. Um diese Punkte zu klären, beginnen wir mit der Menge der Faktensammlungen zu einem gegebenen Zeitpunkt, die in ein Modell eingebettet werden kann. Wir verallgemeinern dann diese Beziehung auf potentielle Modelle und auf mögliche Systeme. Wenn eine Menge X von potentiellen Modellen und eine Menge Y von Systemen gegeben ist, definieren wir, dass die Menge Y von Systemen in die Menge X von potentiellen Modellen eingebettet ist (kurz: Y ebt* X ) genau dann, wenn es für alle Systeme y ∈ Y ein potentielles Modell x gibt, so dass y in x eingebettet ist. Abgekürzt geschrieben:

  • ( Y ebt* X ) genau dann wenn es für alle y ∈ Y ein x ∈ X gibt, so dass ( y ebt x) gilt.

Die erste Art der Einbettung (ebt) findet zwischen Systemen statt, die zweite Art (ebt*) zwi­schen Mengen von Systemen.

Definition

Zu einem gegebenen Zeitpunkt kann nun die Menge von Fakten­sammlungen in die Menge der Modelle der Theorie einbettet werden. In der Mengenschreib­weise lässt sich dies folgendermaßen definieren:

  • Der Gehalt(X) von X wird als die Vereinigung aller Y definiert,
    die die Einbettung ( Y ebt* X ) erfüllen:
    Gehalt(X) = ∪ { Y / ( Y ebt* X ) }.

Wenn der Operator Gehalt speziell auf die Menge der Modelle der Theorie angewendet wird, nennt man die Menge Gehalt(M) den Gehalt der Theorie (theory’s content). Der Gehalt der Theorie umfasst alle Systeme, die sich in Modelle einbetten lassen. Den Anspruch der Theorie erhält man, wenn man fragt, ob die Menge der Faktensammlungen, die zu einem Zeitpunkt z gegeben ist, im Gehalt(M) liegt.

Ausgangsposition und 3 mögliche Faktensammlungen


Modellumgebungen

Einführung

Ob die Theorie zu den Faktensammlungen passt, hängt auch vom verwendeten Annäherungsgrad ab, der eine Umgebung für die Modelle festlegt. Wenn ein Umgebungsbegriff verwendet wird, in dem die Umgebung eines Modells durch einen Abstand – oder durch eine einzige, positive Zahl – festgelegt wird, sieht man sofort, dass es wichtig wird, eine ir­gendwie der Realität angemessene Zahl zu verwenden.
Zu einer Theorie gehört normalerweise auch ein Approximationsapparat, mit dem Abstände und/oder Umgebungen bestimmt werden können. Die Bestimmung und Untersuchung von Abständen und Umgebungen wird in jeder wissenschaftlichen Disziplin anders gehandhabt.
In der Wissenschaftstheorie müssen Abstände und Umgebungen auch wissen­schaftsübergreifend untersucht werden müssen. Es reicht nicht aus, den Approximationsappa­rat einer bestimmten Theorie zu kennen und anwenden zu können. Beim Ver­gleich zweier Theorien müssen auch die eventuell verschiedenen statistischen Begriffe und Methoden beach­ten. Daher sind die Begriffe des Abstands und der Umgebung so zu beschreiben, dass sie für alle Theorien verwendet werden können. Die speziellen Abstands- und Umgebungsme­thoden einer bestimmten Theorie lassen sich dann unter die in der Wissenschaftstheorie all­gemein be­handelten Begriffe subsumieren.

Definition einer Umgebung ohne Abstandsbegriff

Im Folgenden wird das einfachste Umgebungssystem für einen Punkt x0 dargestellt, bei dem weder Ab­stände noch Uniformitäten verwendet werden. Dieses System besteht aus drei Komponenten, aus einer Menge P von Punkten, aus einem ausgezeichneten «Ursprungspunkt» x0 und aus einer Menge U von Umgebungen von x0: UR = 〈 P, x0, U 〉. Eine Umgebung u aus U besteht aus einer Menge von Punkten, die alle in einer Umgebung des Ursprungspunkts x0 liegen. Ob eine Menge von Punkten u eine Umgebung von x0 ist, hängt entscheidend davon ab, ob u zur Menge U aller Umgebun­gen von x0 gehört oder nicht. Das heißt, ein Umgebungssystem enthält nur eine bestimmte Auswahl von Umgebungen, die durch folgende Hypothesen sehr allgemein charakterisiert wird:

  • Jede Obermenge einer Umgebung von x0 ist Umgebung von x0.
  • Der Durchschnitt endlich vieler Umgebungen von x0 ist eine Umgebung von x0, und P ist eine Umgebung von x.
  • Jede Umgebung von x0 enthält x0.
  • Ist u Umgebung von x0, so gibt es eine Umgebung v von x0 derart, dass u Umge­bung jedes Punktes von v ist.

Definition einer Umgebung mit Abstandsbegriff

Der Umgebungsbegriff kann auch durch eine Abstandsfunktion d definiert werden. Durch diese Funktion bekommen je zwei Punkte a und b aus P eine nicht negative, reelle Zahl α zugeordnet: d ( a, b ) = α. Die Menge ℜ+0 dieser nicht negativen, reellen Zahlen wird dabei als bekannt vorausgesetzt. Das bedeutet, dass die verschiedenen Hypothesen, welche die Menge der reellen Zahlen charakterisieren, nicht explizit angegeben werden. Für die Abstandsfunk­tion d werden folgende Hypothesen verwendet:

  • Es ist stets d ( a, a ) = 0, und aus d ( a, b ) = 0 folgt a = b.
  • Für je zwei Punkte a, b gilt d ( a, b ) = d ( b, a ).
  • Für je drei Punkte a, b, c gilt: d ( a, c ) ≤ d ( a, b ) + d ( b, c ).

Ausgehend von einem Punkt a0 und einer nicht negativen, reellen Zahl α wird mit Hilfe der Abstandsfunktion d eine Umgebung u wie folgt definiert:
  u =  { b / b ∈ P und d ( a0, b ) ≤ α }.

Verschiedene Modellumgebungen